Amtsgericht Alsfeld, Urt. vom 31.10.2001, 30 C 744/00

  • Amtsgerich Alsfeld
  • Geschäftsnummer: 30 C 744/00 

verkündet am: 31.10.2001

 

Urteil

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IM NAMEN DES VOLKES

 

In dem Rechtsstreit

W

- Kläger -

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte

g e g e n

E

- Beklagter -

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte

 

hat das Amtsgericht Alsfeld

durch Richter Dr.

in dem schriftlichen Verfahren am 31.10.2001 für Recht erkannt:

  • Die an den Kläger gerichteten Vorbescheide des Magistrats der Stadt H. vom 04.12.2000, Az. 141-10, über DM 2.379,09 nebst Verfahrenskosten über DM 371,50 und über DM 204,-- nebst Verfahrenskosten über DM 50,--, dem Kläger zugestellt am 15.12.2000, werden aufgehoben.
  • Die Ersatzansprüche des Beklagten aus oder im Zusammenhang mit den von ihm am 29.06.2000 und am 14.09.2000 für das Wiesengrundstück, Gemarkung H., angemeldeten Wildschäden werden zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens sowie die in den aufgehobenen Bescheiden festgesetzten Verfahrenskosten zu tragen.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 2.000,-- abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Sicherheit auch durch selbstschuldnerische, unbefristete, unwiderrufliche und unbedingte Bürgschaft eines als Zoll- und Steuerbürge zugelassenen deutschen Kreditinstituts zu erbringen.

T a t b e s t a n d:

Die Parteien streiten über Wildschadenseratzansprüche.

Am 19.06.2000 meldete der Beklagte für das Wiesengrundstück, Gemarkung ..., dessen Pächter er war, bei dem Magistrat der Stadt H. 190 durch Schalenwild verursachte Wühllöcher und Ernteausfall als Wildschäden an. Für dieses Wiesengrundstück war der Kläger der Jagdausübungsberechtigte.

Am 25.08.2000 fand auf dem Wiesengrundstück ein Ortstermin zur Ermittlung des Wildschadens statt, an dem u.a. ein Vertreter des Klägers ,de Beklagte, der Wildschadensschätzer der Stadt H. und ein weiterer Vertreter der Stadt teilnahmen. Hierüber wurde eine Niederschrift gefertigt, in der handschriftlich festgehalten wurde, dass streitig sei, ob alle Schäden fristgerecht angemeldet worden seien. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Niederschrift wird Bezug genommen auf Bl.31.d.A..

Am 14.09.2000 meldete der Beklagte einen weiteren Wildschaden bei dem Magistrat der Stadt H. an. Ein Ortstermin zur Ermittlung des Wildschadens fand auf Grund dieser Anmeldung nicht statt.

Am 4.12.2000 erließ der Magistrat der Stadt H. die beiden an den Kläger adressierten streitgegenständlichen Vorbescheide, in denen auf der Grundlage der Feststellungen des Wildschadenschätzers für die am 19.06.2000 angemeldeten Wildschäden insgesamt DM 2.379,09 und für die am 14.09.2000 angemeldeten Schäden DM 204,-- angesetzt wurden.

Der Kläger vertritt die Auffassung, der Vorbescheid vom 4.12.2000 über den Betrag von DM 2.379,09 sei bereits deswegen aufzuheben, da der Beklagte nicht rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 34 BJagdG den Wildschaden angemeldet habe, was gleichzeitig den Schadensersatzanspruch zu Fall bringe. Hierzu behauptete der Kläger, bei einer Inaugenscheinnahme der Wühllöcher am 8.7.2000 sei festgestellt worden, dass diese bereits drei bis vier Monate alt waren.

Bezüglich des Vorbescheides über DM 204,-- ist der Kläger der Auffassung, dass dieser schon deswegen der Aufhebung unterliege, weil er unstreitig ohne Durchführung des Ortstermins gemäß § 3 Abs. 1 HessJagdG ergangen sei. Gleichzeitig fehle damit eine Voraussetzung für den Wildschadensersatzanspruch.

Der Kläger beantragt:

  • Die beiden Vorbescheide des Magistrats der Stadt H. vom 04.12.2000, Az.: 141-10 über DM 2.379,09 nebst Verfahrenskosten über DM 371,50 und DM 204,-- nebst Verfahrenskosten über DM 50,00, dem Kläger zugestellt am 15.12.2000 (nachfolgend die “Vorbescheide”), werden aufgehoben.
  • Die Ersatzansprüche des Beklagten aus oder im Zusammenhang mit den von ihm am 19.06.2000 und 14.09.2000 für das Wiesengrundstück, Gemarkung H. angemeldeten Wildschäden werden zurückgewiesen.
  • Der Beklagte beantragt:
  • Die Klage wird abgewiesen.
  • Der Beklagte ist der Auffassung, den Wildschaden am 19.06.2000 rechtzeitig angemeldet zu haben. Hierzu behauptet er, der Wildschaden sei nach de 15.06.2000, aber vor dem 19.06.2000, eingetreten. Gleichzeitig wird behauptet, der Schaden sei maximal wenige Wochen, nicht jedoch älter als ein Monat gewesen.

Hinsichtlich der nicht erfolgten Durchführung des Ortstermins nach der Schadenmeldung vom14.09.2000 vertritt der Beklagte die Auffassung, dass dies der Wirksamkeit des Vorbescheids schon deswegen nicht entgegenstehe, da die Parteien einvernehmlich auf die Durchführung des Ortstermins verzichtet hätten. Jedenfalls aber könne sich der Kläger auf die Unwirksamkeit des Bescheides nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht mit Erfolg berufen, da er selbst auf die Durchführung des Ortstermins verzichtet habe.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 09.1o.2001 dem Antrag des Beklagten im Schriftsatz vom 8.8.2001 auf dessen Vernehmung als Partei zur Rechtzeitigkeit der Schadenmeldung widersprochen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Vorbescheide des Magistrats der Stadt H. vom 4.12.2000, gerichtet an den Kläger, Az.: 141-10 unterliegen ebenso wie die darin getroffenen Feststellungen der Verpflichtung des Klägers zur Leistung von Wildschadensersatz der Aufhebung. Der Vorbescheid vom 0.12.2000, in dem der Kläger verpflichtet wurde, DM 2.379,09 an den Beklagten zu zahlen, war gemäß § 34 S.1 BJagdG (hierzu unter I.), der ebenfalls vom 4.12.2000 datierende Vorbescheid über eine Zahlungsverpflichtung in Höhe von DM 204,-- gemäß § 36 Abs. 1 HessJagdG i.V.m. § 37 Abs. 2 Nr. 2 HessJagdG aufzuheben (hierzu unter II.).

I.

Der Anspruch auf Ersatz des Wildschadens, der am 19.06.2000 bei dem Magistrat der Stadt H. durch den Beklagten angemeldet wurde, ist gemäß § 34 S.1 BJagdG erloschen. Der Beklagte hat den Wildschaden durch die Wühllöcher auf dem ihm zur Nutzung überlassenen Wiesengrundstück nicht binnen der Wochenfrist angemeldet. Es konnte mit den zulässigen Beweismitteln der ZPO nicht dargelegt und bewiesen werden, dass der Beklagte innerhalb einer Woche nach Erlangung der Kenntnis von dem Schaden, bzw. nach dem Zeitpunkt, zu dem er bei der Beobachtung gehöriger Sorgfalt von diesem hätte Kenntnis haben können, diesen bei der nach § 34 Abs. 1 HessJagdG zuständigen Behörde angemeldet hat. So weit der Beklagte hierzu beantragte, ihn als Partei zu vernehmen, konnte das Gericht diesem Antrag gemäß § 447 ZPO nicht Folge leisten, da der Kläger ausdrücklich erklärte, hiermit nicht einverstanden zu sein. Von der Anordnung der Parteivernehmung von Amts wegen zur Beweiserhebung gemäß § 448 ZPO war in Anwendung pflichtgemäßen Ermessens Abstand nehmen zu , da auch nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Behauptung des Beklagten nicht gegeben war. Der Beklagte selbst macht zum Zeitpunkt des Schadeneintritts und seiner Kenntnis hiervon widersprüchliche Angaben. Einerseits behauptet er, dass der Wildschaden zwischen der Mahd am 15.06.2000 und dem Tag der Schadensmeldung, dem 19.06.2000, eingetreten sei, andererseits lässt er vortragen, der Schaden sei maximal wenige Wochen, nicht jedoch älter als einen Monat gewesen.  Vor dem Hintergrund dieser Tatsachenbehauptungen kann das Gericht nur den Schluss ziehen, dass der Beklagte selbst nicht in der Lage ist, genaue Angaben zum Zeitpunkt seiner Kenntnis von dem Schadeneintritt und dem Schadeneintritt selbst vorzutragen und darzulegen. Insoweit widerspricht der Vortrag des Beklagten der substantiierten Behauptung des Klägers, jedenfalls am 8.7.2000 seien die Wühllöcher mindestens drei Monate alt gewesen, nur insoweit, als die Angaben zu dem Höchstalter der Wühllöcher wenigstens einen Monat auseinander liegen. Weder für die Richtigkeit der Behauptung, noch für die der anderen ist eine größere Wahrscheinlichkeit zu erkennen. Zudem ist der voraussichtliche Überzeugungswert der Parteiaussage des Beklagten vor dem Hintergrund seiner bereits im Sachvortrag widersprüchlichen Behauptung als gering anzusehen. Weitere zulässige Beweisanträge lagen nicht vor. Die Nichterweislichkeit der Behauptung des Beklagten zur Rechtzeitigkeit der Schadensersatzanmeldung geht zu seinen Lasten, da er als Ersatzberechtigter insoweit beweisbelastet ist (vgl. Lorz, Bundesjagdgesetz, 2. zu § 34).

II.

Der Anspruch auf Ersatz des Wildschadens, der am 14.09.2000 bei dem Magistrat der Stadt H. durch den Beklagten angemeldet wurde, ist gemäß § 36 Abs. 1 HessJagdG i.V.m. § 34 S.1 BJagdG erloschen und der Vorbescheid aufzuheben. Der Vorbescheid des Magistrats der Stadt H. vom 4.12.2000 ist bezüglich dieser Wildschadensmeldung offensichtlich rechtswidrig ergangen. Unstreitig hat entgegen § 36 Abs. 1 HessJagdG, der für den Fall einer Wildschadensmeldung zwingend die Anberaumung eines Ortstermins durch den zuständigen Gemeindevorstand vorschreibt, ein solcher nicht stattgefunden. Ein Antrag gemäß § 36 Abs. 2 HessJagdG, den Schaden erst in einem späteren, kurz vor der Ernte abzuhaltenden Termin festzustellen, war indes nicht vorangegangen. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten war die Durchführung dieses Ortstermins auch nicht wegen einer – im Übrigen streitigen – Vereinbarung zwischen den Parteien entbehrlich. § 36 Abs. 1 HessJagdG ist nicht dispositiv, seine Einhaltung zwingende Voraussetzung für den Erlass eines Vorbescheides gemäß § 36 Abs. 4 HessJagdG, der der an Gesetz und Recht gebundenen Verwaltung keinerlei Ermessensspielräume bei der Einhaltung der Vorschriften zu Form und Verfahren, die vor Erteilung des Vorbescheides einzuhalten sind, einräumt und zum anderen aus der Systematik und dem Zusammenhang mit den Regeln der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung, auf die § 36 Abs. 7 HessJagdG verweist. Gemäß § 36 Abs. 7 Nr. 2 HessJagdG ist der Vorbescheid nach Zustellung einem vollstreckbaren Titel gleichgestellt. Es widerspräche dem Grundsatz, dass die Voraussetzungen und Grenzen staatlichen Vollstreckungshandelns den Abmachungen der Parteien entzogen sind(vgl. OLG Köln, Rpfleger 1969, S 437), wenn es ihnen überlassen bliebe, willkürlich über die Voraussetzungen der Herbeiführung eines vollstreckbaren Titels zu entscheiden. Dementsprechend sind vollstreckungserweiternde Abreden der Parteien, die Vollstreckungsbefugnis über die gesetzlichen Möglichkeiten hinaus erweitern wollen, unwirksam (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, vor § 704, RN 26). Nichts anderes kann für den Vorbescheid gelten. Würde die Parteivereinbarung über den Wegfall eines gesetzlich vorgegebenen Form- oder Verfahrenserfordernisses wie des Ortstermins nach § 36 Abs. 1 HessJagdG zulassen, käme dies der Schaffung eines vollstreckbaren Titels außerhalb gesetzlichen Möglichkeiten gleich. Mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Celle, RdL 1966, S. 135f., 136, OLG Hamm, RdL 1996, S. 123f., 124) ist danach daran festzuhalten, dass die Parteien nicht ein von den zwingend vorgeschriebenen Bestimmungen abweichendes Wildschadenfeststellungsverfahren betreiben können, jedenfalls ist ein solches Vorgehen nicht geeignet, einen vollstreckbaren Titel zu schaffen. Dem kann der Beklagte auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass im Wege eines Erst-Recht-Schlusses aus der Möglichkeit, durch gütliche Einigung oder Anerkenntnis oder Vergleich gemäß § 36 Abs. 3 HessJagdG eine vollstreckbaren Titel in die Welt zu setzen, folge, dass es dann auch möglich sein müsse, übereinstimmend auf die Durchführung eines Vorverfahrens bei der Schaffung eines Vorbescheides zu verzichten. Dies übersieht gänzlich, dass in § 36 Abs. 7 Nr. 1 HessJagdG ausdrücklich die Niederschrift über die gütliche Einigung ebenfalls als vollstreckbarer Titel angesehen wird. Die vergleichsweise Einigung über die Erstattungspflicht gemäß § 36 Abs. 3 HessJagdG ist damit ein vom Gesetz vorgesehenes und gebilligtes Verfahren zur Herstellung eines vollstreckbaren Titels, das Unterlassen des Ortstermins indes kein gesetzlich vorgesehener Weg zur Erwirkung eines Vorbescheides. Der Erst-Recht-Schluss geht fehl.

Der Rechtswidrigkeit des Vorbescheides und dem Erlöschen des Erstattungsanspruches nach § 34 S.1 BJagdG steht auch nicht der Einwand unzulässiger Rechtsausübung gemäß § 242 BGB entgegen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Parteien einvernehmlich auf die Durchführung des Ortstermins verzichtet haben. Denn jedenfalls durfte der Beklagte mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut des § 36 HessJagdG nicht darauf vertrauen, dass ein solches Einvernehmen die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erwirkung eines Vorbescheides ersetzen kann. Zudem würde auf diese Art und Weise das zwingende Verfahren des § 36 Abs. 1 HessJagdG umgangen.

Der Schadensersatzanspruch nach § 34 S 1 BJagdG fällt mit der Rechtswidrigkeit des Vorbescheides. Da das Feststellungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ist zwar grundsätzlich der ordentliche Rechtsweg bezüglich des Schadensersatzanspruches nicht eröffnet (vgl. OLG Celle, RdL 1966, S. 135f., 136). Dies würde indes dem in § 37 Abs. 2 Nr. 2 HessJagdG zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen widersprechen, im Klageverfahren nicht lediglich über die Aufhebung des Vorbescheides, sondern über den Anspruch selbst zu entscheiden. Dies führt dazu, den Schadensersatzanspruch zu verwerfen. Er wurde nicht in der gesetzlich vorgesehenen Art und Weise festgestellt. Hierfür Sorge und Rechnung zu tragen, obliegt dem Beklagten als demjenigen, der seinen Anspruch durchsetzen will. Ob und inwieweit dem Beklagten wegen der unterbliebenen Durchführung des Ortstermins Schadensersatzansprüche gegenüber dem Magistrat der Stadt H. wegen Amtspflichtverletzung zustehen, bedarf in diesem Rechtsstreit keiner Entscheidung.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 37 Abs. 2, S.2, 36 HessJagdG.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Dr.

Richter